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Im Interview mit Jochen Witte: Die Zukunft des Marketings – ohne Third Party Cookies 

Source: businessinsider.com

Wohin es mit dem digitalen Marketing ohne Cookies von Drittanbietern geht, haben wir im Part 1 dieses Artikel-Duos bereits angeschaut. Dazu durfte ich mit Juan Baron von Decentriq über Data Clean Rooms und Privatsphäre sprechen. Nun wollen wir die andere Seite, diejenige des Publishers, etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Die Goldbach Group arbeitet mit Decentriq zusammen und nutzt die Data Clean Rooms zusammen mit mehreren Partnern. Anhand der Data Clean Rooms soll Advertising auch ohne Third Party Cookies funktionieren – mit Targetings der gewünschten Zielgruppe. Alles dazu kannst du in unserem Part 1 nachlesen.

Jochen Witte sieht aber nicht nur Potenzial für Werbetreibende in solchen neuen Technologien, sondern auch in den Old-School-Massnahmen. Denn Print, TV, Radio und Out of Home sind noch immer nicht von der Bildfläche verschwunden. Ist denn nun offline wieder eine wichtige Alternative, wenn das Online-Marketing durch das Verschwinden der Third Party Cookies erschwert wird? Die kurze Antwort: Jein. Die ausführlichere Antwort findest du im Interview.

Im Interview mit Jochen Witte, Director Products / CTO Goldbach Group

Jochen, wie hat sich das Werben über Goldbach in den letzten Jahren verändert? 

J: Wir bei Goldbach vermarkten ja auch Print, TV, Out Of Home, Radio. Und was man generell sieht – das folgt sicher dem allgemeinen Trend – ist, dass die klassischen Medien immer stärker unter Druck geraten. Print ist durch Corona nochmal verstärkt verkleinert worden, während die allgemeinen technologischen Entwicklungen verstärkt wurden.

Das heisst, es wird stärker in eher digitaler Logik Medien konsumiert und entsprechend wird auch die Werbeschöpfung immer mehr digital aufgestellt. Das wiederum heisst, dass Werbekunden viel stärker das Bedürfnis haben, Werbung so zu buchen, wie halt digitale Werbung normal funktioniert auf Plattformen wie zum Beispiel Google oder Facebook.

Aber klassisches Branding, Werbung und Performance-Werbung, das verschwimmt immer mehr ineinander, das verbindet sich miteinander. Entsprechend wollen Werbekunden von vorne bis hinten durchgemessen haben: Was hat den jetzt meine Investition an einer bestimmten Stelle eines klassischen Marketing-Funnels gebracht? Sei es jetzt im Fernsehen, sei es für die grossen Massenmedien, oder sei es hinten raus im Verkauf. Sie wollen das am besten miteinander verbinden. Das heisst, diese ganze klassische Trennung zwischen Performance und Branding – und der ganze klassisch getrennte Bereich Verkaufswerbung, also ich verkaufe Werbung, und ich attributiere und messe Werbung – das verschwimmt immer mehr ineinander. Das ist für uns eine grosse Challenge, weil wir als Goldbach natürlich ein ganz klassisches Verkaufshaus sind. Wir haben uns zwar den Technologie-Plattformen angepasst, wir können messen, wir können optimieren. Wir sind aber lange nicht so stark KPI-driven unterwegs, wie zum Beispiel Google. Das setzt uns unter Druck.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine gute Nachricht, denn es zeigt sich immer wieder, dass Fernsehen funktioniert. Da drück ich auf einen Knopf und hinten raus kommen Verkäufe. Das ist gut für uns, weil wir als Goldbach ein zentraler TV-Player in der Schweiz sind. Die zweite gute Nachricht ist: Auch im digitalen Bereich zeigt sich immer mehr, dass das Umfeld extrem wichtig ist für die Performance einer Kampagne. Man bekommt mehr, wenn man auf einem Tagesanzeiger oder einer 20 Minuten wirbt, als wenn man das irgendwo im klassischen Long-Tail macht. Wie viel mehr und einen wie viel höheren Preis das rechtfertigt, das muss man natürlich immer im Einzeln anschauen.

Und die dritte gute Nachricht ist, dass wir alles stärker konvergent geplant haben. Vor ein paar Jahren war es noch innovativ, wenn Brands einen Teil ihres TV-Budgets für Online-Video eingesetzt haben, weil sie die junge Zielgruppe erreichen wollten. Inzwischen ist das Standard. Das ist für uns auch gut, weil wir in allen Medien vertreten sind und so dem Kunden aus einer Hand die Flexibilität geben können, auf verschiedenen Kanälen zu werben.

Und wie sehen diese Veränderungen aus in Hinblick auf das Verschwinden der Third Party Cookies?  

Das ist auch für uns eine einschneidende Veränderung. Denn das Bedürfnis des Kunden bleibt. Der Kunde möchte messen. Er möchte messen, optimieren, und basiert auf Daten verbessert Werbung platzieren, damit er seine Investitionen besser steuern kann. Das ist ein Bedürfnis im Markt, was dableibt und was auch befriedigt wird. Denn diese Third Party Cookies – so gut und berechtigt das Nutzerinteresse dahinter auch ist – führen dazu, dass diejenigen, die schon viel wissen über ihre Nutzer und sehr geschickt auch Einwilligungen und Consent holen, noch mehr in die Lage versetzt werden, auf ihren Plattformen diesem Kundenbedürfnis stattzugeben. Sprich, die grossen Advertiser gehen dann halt zu Google und Facebook, weil dort haben Nutzer ihre Einwilligung dazu gegeben, Daten zu teilen.

Wir erhoffen uns aber auch, dass Werbekunden in Zukunft den Mehrwert erkennen, zum einen auf alle Medien zugreifen zu können über uns und zum anderen das in einer ähnlichen, für sie angenehmen und performenden Weise tun zu können. Ich denke, das wird von Kunden auch akzeptiert, vor den Hintergrund, dass man damit die Schweizer Medien fördert, diese Unabhängigkeit auf der Anbieterseite fördert, aber auch bei sich selber. Weil Werbekunden natürlich auch sehen, je mehr sie sich an eine Plattform wie Facebook oder Google binden, desto stärker sind sie dann auch von ihr abhängig – denn es geht immer um Preishoheit am Ende. Dann kann Google den Preis festlegen für die Werbekunden und das ist natürlich nicht unbedingt das, was sie wollen.

Auch das Tracking wird erschwert ohne Third Party Cookies. Wie wirkt sich das auf Publisher wie euch aus?

Ja, das bringt auch für uns Herausforderungen mit sich und es erfordert auch neue Lösungen. Es gibt die einen, die sagen, ich rette, was ich retten kann innerhalb der alten Logik, und das tun auch wir ein wenig. Und es gibt die anderen, die akzeptieren, dass das Gesetz das nicht will oder das zumindest nicht will ohne Einwilligung und entsprechend zwei Handlungsstränge aufmacht: Der eine ist, ich hole mir Einwilligungen von Nutzern, die das wollen.

Das ist zum Beispiel das ganze Thema Log-ins, was für uns auch sehr wichtig ist in Zusammenarbeit mit unseren Partnern, mit denen wir versuchen, das Bewusstsein bei den Nutzern zu sensibilisieren, dass das eben nicht irgendwie Aussperren von Informationen ist, sondern dass das heute der normale Usus ist, mit Konsumenten oder Endnutzern umzugehen. Zum Beispiel in der Form, dass man sagt: «Du gibst mir deinen Kontakt, dann gebe ich dir dafür meinen Content und du musst nur hier klicken und dann bekommst du von uns Werbung. Wir geben aber nicht sensitive Daten heraus, sondern wir geben beispielsweise nur weiter, dass du weiblich bist.» Es ist wichtig, dass man dort diesen Aufklärungspart übernimmt und dann auch die Einwilligung des Kunden bekommt, die Werbung entsprechend zu personalisieren.

In eurer Zusammenarbeit mit Decentriq nutzt ihr die Data Clean Rooms arbeitet und stellt so sicher, dass keine userspezifischen Daten eingesehen werden können, sondern dass Zielgruppen übergreifend segmentiert werden. Ist das für euch und eure Kunden zielführend, wenn es um Werbung geht?

Wir haben jetzt die ersten Cases damit gemacht und Werbekunden finden das sehr gut. Für Werbetreibende ist das im Grunde die einfachste Art und Weise, ansatzweise dem näher zu kommen, was früher im Internet Usus war und was auch der Differentiator von Online immer gewesen ist, nämlich zum Beispiel das Retargeting. Retargeting ist die Funktion des Online-Advertisings, das ist das, was am allerbesten funktioniert. Ich gehe Zalando, schaue mir Schuhe an, kaufe sie aber nicht und kriege dann nachher drei Wochen lang Schuhwerbung angezeigt. Das funktioniert.

Das andere ist halt das ganze Thema Messung und Attribution und eher nicht-personalisierte Zielgruppen, Interest Groups, demografische Zielgruppen, die wir so weiterhin ermöglichen können, ohne dass die Nutzerdaten überhaupt ausgetauscht werden. Das ist für Werbekunden erstmal sehr förderlich. Für uns ist es auch gut, weil wir so diesen Mehrwert, den wir versprechen, auch einlösen können. Und auch für die Nutzer ist es vorteilhaft, weil sie genau sehen und transparent nachverfolgen können, was mit ihren Daten passiert.

Interessant ist für uns auch das Thema Datasharing, was es vor einigen Jahren in der Hochphase dieses ganzen Cookie-Themas gab. Den Effekt des Datasharings hat man versucht durch Datenpartnerschaften damals noch zu steigern und das ist natürlich mit dem GDPA komplett abgeschnitten worden. Und was ein Unternehmen wie Decentriq nun machen kann, ist, in einem neutralen Chip, vereinfacht formuliert, verschiedene Datenquellen zusammenbringen und daraus ein Machine-Learning-Modell generieren, was dann nachher die Vermarktern und Publishern wie wir nutzen können, um die Targetings zu machen. Das heisst, da verlässt kein einziges Profil, keine einzige ID diesen neutralen Raum, sondern ein Algorithmus. Und dieser Algorithmus kann bei uns eben zur Wertsteigerung benutzt werden und es komplett unabhängig von irgendwelchen Privacy-problematischen Geschichten. Das ist ein riesiger Mehrwert aus dieser Thematik heraus.

Denn die Frage stellt sich: Wie macht man denn Marketing heute, ohne Third Party Cookies? Und was wir sehen – und was ein grosser Vorteil für uns ist – dieses ganze digitale Advertising nähert sich der klassischen Mediaplanung an – und umgekehrt. Das heisst, das ganze Thema konvergente Messung, da sind immer Modelle dahinter, wie zum Beispiel Tracking-Pixel, verbunden mit Panel-basierten, zertifizierten Hochrechnungen. Was herauskommt bei Decentriq mit diesem Machine-Learning, das ist nichts anderes, als was früher der Medienforscher gemacht hat, wenn er einen Panel verwendet hat, um Hochrechnungen zu machen.

Da sehen wir, dass diese beiden ursprünglich unterschiedlichen Ansätze immer stärker zusammenfliessen und uns entsprechend ermöglichen, auch diese ursprünglich getrennten Bereiche Brand und Performance Advertising viel schneller miteinander verschmelzen zu lassen. Mit dem Kompromiss, dass man eben nicht mehr den Anspruch hat, die komplette Customer Journey 360 Grad vom Anfang bis zum Ende auf Einzelperson-Basis zu tracken. Das wird nicht mehr passieren. Aber wir können mit guter Methodik und Machine-Learning und Algorithmen dafür sorgen, dass wir Modelle haben, die verschiedene Wege aufzeigen und wir basierend darauf unsere Werbung optimieren können. 

Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen: Was wird denn künftig mit diesen Voraussetzungen besser funktionieren bei Publishern wie Goldbach? 

Was sicher besser funktionieren wird ist Transparenz darüber, was funktioniert und was nicht bei uns – und zwar für den Kunden oder die Agentur selber, sodass sie besser selber optimieren können. Weil Advertiser sind individuell und haben unterschiedliche Ziele. Das wird in Zukunft besser funktionieren, weil wir nicht nur Decentriq, nicht nur Matching-Technologien, aber auch andere Massnahmen in unsere Plattform integrieren. Und es wird besser funktionieren, dieses gelernte Wissen für eine medienübergreifende, konvergente Steuerung von Werbung zu benutzen.

Wir haben eine riesengrosse Digital-Unit, wir haben aber auch klassische Mediaplaner und klassische Verkäufer, die sich sehr gut auskennen und das verschmelzt jetzt immer mehr bei uns intern. Das ist für die Werbekunden gut, weil sie beispielsweise kanalübergreifend optimieren können – in Zukunft. 

Mir wurde immer wieder gesagt, dass TV, Radio und Print Dinge der Vergangenheit sind und voll auf Digital gesetzt werden muss. Siehst du hier wieder einen gegensätzlichen Trend, einen Aufschwung der Offline-Massnahmen? 

Warum investiert Zalando in Out of Home und ins Fernsehen? Früher haben sie reine Performance-Werbung gemacht und das hat funktioniert. Bis zu einem gewissen Grad des Wachstums. Und dann haben sie sich überlegt; Ja wie krieg ich denn die anderen Leute, die ich über Performance-Werbung nicht bekomme? Und irgendwann kommt man immer zu TV und Out of Home. Warum? Weil TV im Vergleich zu Online billig ist. Und Out of Home ist ein Medium, über das man alle erreicht, in einer Situation, wo sie einfach irgendwo rumlaufen – überspitzt formuliert.

Bin ich jetzt in einem Video-Call mit dir und wenn jetzt hier einfach Werbung käme, wäre das echt nervig, dann würde ich mir eine andere Plattform suchen. Während ich Fahrrad fahre und da steht ein grosses Bild eines Produktes, dann ist das etwas anderes. Das nehme ich auf, und schon ist da in meinem Gehirn hinten irgendwo ein Branding geschaffen. Deswegen glaube ich, dass es diese Offline-Massnahmen immer geben wird, weil der Mensch nicht 100 Prozent fokussiert auf seinen Screen schauen kann, sondern auch ganz viele Phasen braucht, in denen er nicht High Attention hat. Und das ist ja, jede Wirkungsforschung zeigt dir, auf dem Sofa sitzen und Fernsehen schauen, das ist die Situation, in der man suggestiv am besten Werbung machen kann. Und darum glaube ich an TV.

Ich weiss nur nicht, ob TV so in der Form als synchrones Massenmedium überhaupt noch lange existier. Aber für mich ist TV nicht «nur» SRG, sondern für mich ist TV ‘ich sitze da und lass mich berieseln.’ Da gibt es inzwischen eine ganze Menge Streaming-Plattformen, auf denen Werbung hervorragend funktioniert.

Wie hilft euch nun eine Plattform wie Decentriq bei eurer Geschäftstätigkeit?

Worauf wir als Goldbach hinarbeiten ist, dass wir als Anbieter sagen: «Das ist jetzt eine Lösung, die wir für euch aufgebaut haben, liebe Werbetreibende, wir machen es euch einfach, diese zu benutzen. Wenn ihr unser Inventar buchen möchtet, dann benutzt doch diese Lösung, es funktioniert ganz einfach und ist von uns dreifach durchgetestet in Bezug auf Privacy.» Ob wir damit Erfolg haben werden, und ob das der Markt so akzeptiert, das muss die Zeit zeigen.

Neue Lösungen müssen her

Was Jochen Wittes und auch Juan Barons Aussagen sehr schön aufzeigen ist, dass es im Marketing – gerade im Online-Marketing – neue Lösungen braucht. Einige Brands verändern ihre Strategie und setzen mehr auf beispielsweise E-Mail-Marketing und organisches Social-Media-Marketing. Andere Unternehmen entdecken die Offline-Massnahmen für sich, sei dies OOH oder TV, um Kund:innen über verschiedene Kanäle zu erreichen.

Klar ist, dass wir lernen müssen, Marketing und Datenschutz zu vereinen. Die Third Party Cookies werden verschwinden und Marketer:innen müssen ihre gelernten Prozesse verändern, um weiterhin die potenziellen Kund:innen zu erreichen, die ihrer Zielgruppe entsprechen. Mit den Data Clean Rooms haben einige Unternehmen einen Weg für sich entdeckt, dies auch in Zukunft umzusetzen.

Nicole Langhart

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