Jahrelang wünschten sich Twitter-User*innen sehnlichst eine bestimmte Funktion: Das Editieren von veröffentlichten Tweets. Sei es, um unangenehme Tippfehler zu korrigieren oder eine Information zu aktualisieren. Dieses Feature ist nun endlich verfügbar – während 30 Sekunden nach dem Posten des Tweets … und wenn du monatlich dafür bezahlst …
Inhaltsverzeichnis
Twitter Blue nennt sich die neue Premiumvariante von Twitter, welche dir gegen eine monatliche Abogebühr nützliche Features für Vielzwitscherer verspricht. Wir schauen uns an, mit welchen Vorteilen das Abo lockt und warum Twitter Blue trotz guter Ansätze im Kern nutzlos ist.
Was ist Twitter Blue?
Während du dir von Streamingdiensten wie Spotify oder YouTube Abomodelle schon gewohnt bist, gibt es bei Social-Media-Plattformen selten Premium-Optionen für zahlungswillige Nutzer*innen. Mit Twitter Blue lancierte der Mikroblogging-Dienst kürzlich zum monatlichen Preis von 2.99 USD seinen Abodienst in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Für die Schweiz ist noch kein Starttermin bekannt. Folgende Funktionen erhalten Abonnent*innen.
Welche Funktionen bietet Twitter Blue?
Werbefreie Artikel
Dass ein Dienst werbefrei wird, sobald du dafür bezahlst, scheint offensichtlich. Bei Twitter Blue wird aber nicht der Feed selbst werbefrei, sondern Artikel auf fremden Webseiten, die du mit Links aus dem Feed öffnest. Das gilt aber nur bei den Online-Publikationen teilnehmender Verlage. Webseiten, die eigene Paywalls besitzen, sind ausgeschlossen. Im Gegenzug erhalten die unterstützten Webseiten einen Teil deiner Abogebühr als Bezahlung.
Lesezeichenordner
Einzelne Tweets lassen sich jetzt schon mit einem Lesezeichen versehen, um sie später wiederzufinden. Twitter Blue erlaubt dir, diese Tweets wiederum in individuellen Ordnern zu organisieren. Die drei Leute, die das Feature nutzen, wirds freuen.
Benutzerdefinierte Navigation
Mit dieser Funktion darfst du auswählen, welche Menüpunkte unten in der Navigationsleiste deiner Twitter-App auftauchen sollen. So gelangst du schneller an deine wichtigsten Ziele in der App. Allerdings ist das Feature zum jetzigen Zeitpunkt nur auf iOS-Geräten verfügbar. Ist die Funktion nützlich? Ja. Ist es ebenfalls eine Funktion, die zahlreiche andere Apps und sogar verscheiden Twitter-Clients ohne monatliche Gebühr anbieten? Auch ja.
Lesemodus
Lange Twitter-Konversationen werden schnell mal unübersichtlich. Ein kleines Problem, das Twitter Blue mit dem Lesemodus zu lösen versucht. Einmal aktiviert, verwandelt er einen Twitter-Thread bestehend aus vielen einzelnen Posts in einen kontinuierlichen Text. Das ganze sieht dann aus wie ein Zeitungsartikel.
Designs
Ein weitere oft und gern gesehene Anpassung bei kostenpflichtigen Aboversionen von Onlinediensten ist die Individualisierbarkeit. Zum Beispiel in Form von unterschiedlichen Farb-Themes für die Benutzeroberfläche und wechselbaren App-Icons. Beides ermöglicht dir Twitter Blue. Neben einigen knalligen Akzentfarben für den Feed gibt es als App-Icon den ikonischen Vogel auf unterschiedlichen Hintergründen.
Beste Artikel
Ein tatsächlich nützliches Feature, das sich Twitter überlegt hat, sind die besten Artikel. Hierbei zeigt dir die Plattform eine Auswahl von Artikeln, welche in deinem Netzwerk häufig getweetet, retweetet oder zitiert werden. Bis zu 25 der beliebtesten Artikel in deiner Bubble werden so gesammelt und übersichtlich präsentiert.
Tweet rückgängig machen
Das eigentliche Kernfeature von Twitter Blue, auf das sich so viele Nutzer*innen gefreut haben, ist leider die grösste Enttäuschung. Statt einer echten Bearbeitungsfunktion für abgesendete Tweets bietet Blue nur die Option, einen Tweet nach dem Posten für bis zu 30 Sekunden zurückzuhalten, bevor er öffentlich wird. In dieser Zeit sollen User*innen den Text nochmals durchlesen können und bei Bedarf rückgängig machen, um Anpassungen vorzunehmen. Dass du Tweets auch einfach korrekturlesen kannst, bevor du auf «twittern» klickst, scheint der Social-Media-Plattform entgangen zu sein.
Das Problem mit Twitter Blue
Irrelevante Funktionen
Die augenfälligste Schwäche im Angebot von Twitter Blue ist die schiere Nutzlosigkeit der freigeschalteten Funktionen. Der Lesezeichenordner und der Lesemodus sind Lösungen für Probleme, die kaum jemand als Probleme sieht. Vor allem die Funktion, Tweets rückgängig zu machen scheint gänzlich unüberlegt und sinnfrei. Werbefreie Artikel sind ja nett. Aber die meiste Zeit verbringst du als Twitter-User*in doch weiterhin im Feed, wo du nach wie vor Werbung ansehen musst.
Klar 2.99 USD sind nicht die Welt. Das reicht in Zürich nicht einmal für einen Kaffee. Aber wenn du dafür auch nichts geboten bekommst, ist selbst der niedrigste Betrag zu hoch angesetzt.
Fehlende, viel gewünschte Features
Wir bleiben beim Rückgängigmachen von Tweets. Warum Twitter sich entschieden hat, die zahlenden Nutzer*inne mit solch einer Light-Version des meistgeforderten Features abzuspeisen, ist schleierhaft. Wenn der Konzern seinen Kund*innen nicht erlauben möchte, Tweets zu bearbeiten, dann ist das fein. Dann aber den Wunsch nach der Funktion zu nutzen, um Werbung für ein bezahltes Abo zu machen, zieht natürlich die Missgunst von langjährigen Mitgliedern des Sozialen Netzwerks auf sich.
Grundlegende Funktionalität hinter Paywall
Der unverständlichste Aspekt an Twitter Blue scheint uns aber die Frechheit, völlig grundlegende Funktionen hinter einer monatlichen Paywall zu verstecken. Neue Themes und App-Icons sowie Werbefreiheit bieten auch andere Premium-Angebote an und gehen komplett in Ordnung. Aber eine anpassbare Navigationsleiste ist bei Weitem nichts Spezielles und bei vielen Gratis-Apps ebenfalls verfügbar. Auch der Lesemodus für Threads sollten allen Nutzer*innen der App zugänglich gemacht werden, wenn Twitter denkt, dass er eine Verbesserung der Benutzeroberfläche darstellt.
Dieses Vorgehen hat Tradition. Während es früher einmal möglich war, Ton aus der YouTube-App im Hintergrund oder mit gesperrtem Bildschirm abspielen zu lassen, ist das nun eine der Funktionen, die YouTube-Premium-Mitgliedern vorbehalten sind. 15.90 CHF musst du dafür berappen. Da hat sich Twitter Blue ein schlechtes Vorbild ausgesucht.
Das war wohl nix
Twitter Blue verspricht viel: Power Features für Power User*innen möchten sie bieten. Geliefert wird ein Sammelsurium aus unnützen, undurchdachten Funktionen, von denen einige ein simples App-Update für die komplette Nutzerschaft sein sollten. Und nicht einmal der Feed wird dafür von Werbung befreit. Twitter Blue ist eine Enttäuschung. Spare das Geld lieber für einen Kaffee in Zürich.