Auf einem Plakat räkelt sich eine schlanke Blondine. Daneben ist ein Burger abgebildet und es heisst «Sie wird dir sagen, dass es nicht auf die Grösse ankommt. Sie lügt!». Sex sells könnte man da resigniert feststellen. Aber stimmt das wirklich?
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Produkte in der Verbindung zu nackter Haut zu bewerben, gehört zur heutigen Werbelandschaft wie Aromat zum Ei. Wo da genau der Zusammenhang liegt, weiss wohl niemand und interessiert auch niemanden. Sex sells eben. Doch freizügige Modells müssen sich möglicherweise warm anziehen, denn nicht nur der gesellschaftliche Blick auf sexualisierte Werbung wird immer kritischer. Auch die Wissenschaft zweifelt die Überzeugungskraft von vollen Kurven und tiefen Sixpacks an.
Was bedeutet Sex sells?
Sex sells ist eine Redewendung aus dem Marketingsprech. Sie beschreibt, dass sich ein beworbenes Produkt oder eine Dienstleistung besser verkauft, wenn diese in sexualisiertem Kontext oder Zusammenhang mit sexuellen Inhalten dargestellt werden. Das Phänomen ist allerdings unter Marketer*innen, Forschenden und Konsument*innen bezüglich seines Nutzens und der moralischen Einordnung stark umstritten.
Ob Sex sells funktioniert, ist dabei massgeblich davon abhängig, ob die Werbedarstellung von den Rezipierenden überhaupt als sexualisiert wahrgenommen wird. Denn Erotik ist höchst individuell und wird unter anderem von sexueller Orientierung, kulturellem Hintergrund und weiteren Faktoren beeinflusst.
Sexy Werbung in der Praxis
Die typischen Bilder, die einem bei Sex sells in den Kopf schiessen, sind diejenigen von leicht bekleideten Frauen, wie sie vor allem in Werbungen auftauchen, die sich stark auf männliche Zielgruppen fokussieren. So beispielsweise Autos, Sport und Bier. Aber auch auf Events und Messen organisieren Aussteller gerne sogenannte Messe-Babes, die sich lasziv auf Motorhauben räkeln. Sex sells betrifft allerdings genauso die sexualisierte Darstellung von Männern. Sie ist nur etwas seltener und weniger präsent im Diskurs über den Sinn und Unsinn dieser Praktik.
Es gibt übrigens auch Spezialfälle wie diesen Post von Lidl. Dieser sexualisiert keine Menschen, bedient sich aber sexueller Inhalte, um diese auf ein Lebensmittel umzumünzen und so Aufmerksamkeit zu generieren. Der Post löste eine grosse Kontroverse aus und wurde schnell wieder gelöscht.
Wer kam eigentlich auf diese Idee?
1871 brachte Pearl Tobacco ein neues Design für seine Zigarettenschachtel auf den Markt. Darauf erhebt sich eine Frau oben ohne aus den Wellen. Diese Darstellung gilt heute als Premiere für Einsatz von Sex sells, auch wenn die Motive für die Gestaltung heute nicht mehr klärbar sind. Andere Zigarettenmarken zogen nach und das Phänomen verbreitete sich auch in den Branchen Bier, Nachtleben, Körperhygiene und Mode.
Zum grossen Durchbruch kam es 1953 mit der Veröffentlichung der ersten Playboy-Ausgabe. Darin zu sehen war Marylin Monroe. Die Bilder eroberten die Welt im Sturm und das Magazin, welches als riskantes Unterfangen galt, wurde zum Erfolg – genauso wie der Begriff und die Strategie Sex sells.
Wissenschaftliche Erkenntnisse pro Sex sells
Die Lernpsychologie beschäftigt sich mit den kognitiven Prozessen, die auftreten, wenn wir Informationen lernen, verarbeiten und abspeichern. Ähnlich wie im Neuromarketing werden Erkenntnisse aus diesem Forschungsfeld für die Optimierung von Marketingmassnahmen verwendet. Laut empirischer Forschung innerhalb dieser Disziploin prägt man sich etwas – in unserem Fall Marken, Namen, Produkte – besser ein, wenn es in einem emotional erregenden Kontext wahrgenommen wird. Emotional erregend kann vieles sein. Werbung kann Angst, Ekel, Freude, Wut aber eben auch Erotik erzeugen.
Einfluss auf Wahrnehmung eines Werbeinhalts als erotisch nehmen dabei der Nacktheitsgrad, der sexuelle Bedeutungsgehalt des Beworbenen, die Suggestivität der verbalen und bildlichen Aussagen und die Romantik. Sind diese Faktoren gegeben, fühlen wir uns emotional genügend angesprochen, um uns besser an das Gezeigte zu erinnern und sollen so eher zu Käuferinnen und Käufern werden, lässt sich daraus schliessen. Simpel aber effektiv.
Wissenschaftliche Erkenntnisse kontra Sex sells
So simpel ist es laut neuerer empirischer Erkenntnisse aber eben doch nicht. Einerseits weiss man mittlerweile vom Vampir-Effekt. Studien mit dem Einsatz von Eye-Tracking-Brillen zeigen nämlich, dass das Objekt der emotionalen Erregung vom beworbenen Produkt ablenken kann. Das heisst, die Werbung wird sehr wohl wahrgenommen, allerdings nur wegen des sexuellen Inhalts. Es entsteht folglich nicht der erwünschte Werbeeffekt.
Zum selben Schluss kommt auch eine Metaanalyse von 78 Studien zum Thema. Diese hält fest: Konsument*innen erinnern sich zwar gut an die Anzeigen mit sexuellen Inhalten oder Kontexten, aber nicht an die Marken und Produkte, welche darin beworben wurden. Zudem stellte man fest, dass das Ansehen der Unternehmen, die auf Sex sells setzen, nach dem Sehen der Anzeige leicht sinkt.
Moral und Recht
Wo liegt die Trennlinie zwischen Sexualisierung und Sexismus? Das ist die zentrale Frage, die es bei der rechtlichen und moralischen Einordnung von Sex sells zu behandeln gilt. Ist Sex sells immer gleich sexistisch? Das Problem liegt in den unterschiedlichen Auslegungen von Sexualisierung. Einige verstehen darunter nur die Fokussierung auf oder Hervorhebung von Sexualität innerhalb eines grösseren Kontextes, ohne dass dies inhärent negativ zu beurteilen wäre. Andere sehen soziale Hierarchisierung und die Degradation von Menschen zu sexuellen Objekten als Sexualisierung. Sexismus hingegen meint die geschlechterbezogene Diskriminierung, welche nicht zwingen mit Sexualisierung einhergeht.
Die Lauterkeitskommission
Interessanterweise gibt es weder in der Schweiz noch in den meisten anderen europäischen Ländern Gesetze, welche sexistische Werbung regeln. Diese existieren höchstens auf Kantons- oder Gemeindeebene. Bei uns gibt es aber auf Bundesebene die Lauterkeitskommission, ein Selbstregulierungsgremium aus Werbenden, Konsumierenden und Medienschaffenden. Jede und jeder kann bei dieser Kommission kostenlos eine Beschwerde zu einer Werbung einreichen. Wenn die Lauterkeitskommission eine Werbung für unlauter befindet, fordert sie den Werbetreibenden auf, diese einzustellen. Geschieht dies nicht, kann sie die Werbung und den Urheber öffentlich machen, was aber selten geschieht.
Im Grundsatz Nr. B.8 regelt die Lauterkommission, was für sie als «geschlechtsdiskriminierende kommerzielle Kommunikation» gilt und damit die Würde eines Geschlechts verletzt:
«Geschlechterdiskriminierende kommerzielle Kommunikation liegt insbesondere vor, wenn
- einem Geschlecht stereotype Eigenschaften zugeschrieben werden und damit die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Frage gestellt wird,
- Unterwerfung oder Ausbeutung dargestellt oder zu verstehen gegeben wird, dass Gewalt oder Dominanzgebaren tolerierbar seien,
- bei den dargestellten Personen das Kindes- und Jugendalter nicht mit erhöhter Zurück-haltung respektiert wird,
- zwischen der das Geschlecht verkörpernden Person und dem Produkt kein natürlicher Zusammenhang besteht,
- die Person in rein dekorativer Funktion als Blickfang dargestellt wird,
- eine unangemessene Darstellung von Sexualität vorliegt.»
Sex verkauft nur sich selbst
Sex verkauft nicht, Sex zieht aber Aufmerksamkeit auf sich. Das geht aus dem aktuellen Stand der Forschung hervor. Die Darstellung von sexualisierten Inhalten im Zusammenhang mit Werbung ist für Unternehmen also je nach Ziel der Marketingmassnahme nach wie vor interessant. Sie will jedoch mit Bedacht eingesetzt werden. Gefragt ist Erotik, nicht Sexismus, denn das gesellschaftliche Gespür für Sexismus und kritische Sexualisierung ist heute ein anderes als vor 50 Jahren. Früher wurden in der Werbung Männer meist berufstätig und Frauen als Dekoration, als Sexobjekt dargestellt. Das ist heute glücklicherweise fortschrittlicher. Werbung kann schlecht oder etwas anstössig sein, hat aber nie das Recht zu diskriminieren.
Gutes Sex sells stellt einen Bezug zum Beworbenen her und zeigt unerwartete Schnittpunkte auf, ansonsten stört es und zieht die Missgunst der Konsument*innen nach sich. Es muss subtil und verführerisch vorgegangen werden. Modernes Sex sells dreht daher den Spiess um. Anstelle des Werbeinhalts sollen sich Konsument*innen sexy fühlen. Das würde bestimmt auch die Burgerwerbung aus dem Einstieg deutlich sympathischer machen.