TV-Werbung hat in den letzten Jahren kontinuierlich an Attraktivität verloren. Replay Funktionen machten das Skippen der Werbeblöcke möglich, Streaming-Dienste knabbern den TV-Stationen Marktanteile ab und die Corona-Pandemie sorgt für eine beschleunigte Veränderung im Verbraucherverhalten. Die Fragmentierung des Medienkonsums stellt speziell Vermarkter von TV-Werbung sowie TV-Stationen vor grosse Herausforderungen. Das Licht am Ende des Tunnels soll Addressable TV (ATV) sein.
ATV verknüpft die Reichweitenstärke des linearen Fernsehens mit der gezielten Aussteuerbarkeit der Online-Welt, indem es den HbbTV-Standard und damit die Internetverbindung des Fernsehgerätes als Kanal für die individuelle Werbeplatzierung nutzt. Ist ein Fernseher internetfähig, so kann die TV-Werbung völlig selektiv an Zuschauer ausgespielt werden, ganz unabhängig vom linearen TV-Programm. Adressable TV kann bisher nach der geografischen Lage der Haushalte, nach Uhrzeit, Wetter, Geräteausstattung und auch nach soziodemografischen Merkmalen der Zuschauer selektiert werden, was auch Möglichkeiten für Re-Targeting eröffnet. Der geringe Streuverlust bietet die Chance, Kontakte teurer zu vermarkten.
Das veränderte Verbraucherverhalten macht ATV zur Entwicklungspriorität
Marcien Jenckes, Leiter der Werbeabteilung des Kabel-Riesen Comcast, sprach letzte Woche auf der Future of TV Advertising Global. Er glaubt, dass das veränderte Verbraucherverhalten und der veränderte Medienkonsum während der Pandemie darauf hinweisen, dass ATV eine Entwicklungspriorität darstellt. „Das Fernsehen hat die Möglichkeit, seine Wirkung und Relevanz für Vermarkter zu maximieren“. Als Unternehmen hat sich Comcast, zu dem auch der Ad-Tech-Innovator FreeWheel gehört, stark auf diese Chance konzentriert.
Mit der Initiative „On Addressability“ haben sich in den USA Unternehmen, Programmierer und Tech-Enabler zusammengetan, um die Innovation voranzutreiben, die für das Wachstum des Marktes erforderlich ist. Zu den Zielen von On Addressability gehört die Förderung von Standards und gemeinsamen Definitionen, mit denen die Branche arbeiten kann und soll Unternehmen und Brands auch aufzeigen, welche Anwendungsmöglichkeiten ATV für eine grosse Reichweite bietet. Jenckes ist der Meinung, dass eine Kollaboration im Stil von On Addressability auch in Europa Sinn machen würde, denn auch Europa sei bereit für ATV im grossen Stil.
Die Revolution ist bereits in vollem Gange, aber es bestehen noch Hürden
Im November dieses Jahres haben die Deutsche Telekom und RTL Deutschland vereinbart, ihre Zusammenarbeit in den Bereichen Technologie, Marketing und Content auszubauen. Der Fokus liegt dabei auf Addressable TV. Vor wenigen Wochen hat Seven.One Media geräteübergreifende Kampagnenplanung vorgestellt und launchte dafür das Mediatool Cross Device-Bridge für TV, Online und Mobile. Als erster Testkunde konnte der Vermarkter Samsung gewonnen werden. In der Schweiz bietet beispielsweise Admeira seit September 2018 interaktive Fernsehwerbung an. Die Revolution ist also in vollem Gange, aber welche Hürden sind noch zu nehmen?
Die technische Reichweite ist schon ausreichend, so besitzen laut aktuellem TV-Streaming-Report 71 Prozent der Schweizer*innen einen mit dem Internet verbundenen Fernseher. Aber das Schalten von Spots im ATV-Bereich ist in Deutschland und der Schweiz bisher nur begrenzt möglich. Adzine berichtet, dass erste Ausspielungen in Form von sechssekündigen Bumper Ads beispielsweise bereits über den RTL-Vermarkter und Adtech-Anbieter Smartclip erfolgten und Spots direkt nach dem Senderwechsel im linearen Programmumfeld ausgeliefert wurden. Clara Diehl, Director Productdevelopment and Business Transformation bei Pilot, sagt gegenüber Adzine, dass Targeting und Cross-Device sich noch in der Entwicklung befänden, wobei Corona die Arbeit daran nicht gerade beschleunigt hat. Ausserdem seien die Platzierungsmöglichkeiten und die Reichweite sehr eingeschränkt, weshalb sie eine Öffnung des Marktes fordert.
Paul Mudter, COO des Vermarktungsbunds Ad Alliance, dem sich auch die RTL-Gruppe angeschlossen hat, erklärt gegenüber Adzine: „Die Integration von ATV-Spots in das laufende Fernsehprogramm stellt natürlich eine grössere Herausforderung dar als die Platzierung von Banner-Ads. Über den Tech Stack von Smartclip stehen wir technisch bereits in den Startlöchern, den gesamten Werbeblock adressierbar zu machen. Wir befinden uns kurz davor, in den Regelbetrieb zu gehen. Mit Addressable TV erzielen wir mit unserem gebündelten Online- und CTV-Inventar der Ad Alliance – ganz unabhängig vom Werbeformat – schon jetzt eine beachtliche Reichweite sowie eine hohe Datenintelligenz.“
Fernsehwerbung ist im Wandel, aber noch lange nicht abgeschrieben
Fernsehwerbung ist also nicht tot, sie erlebt nur einen starken Umbruch. Für viele TV-Vermarkter und Werber ist Addressable TV jedoch noch Neuland. Hilfe bietet ein Whitepaper von RTL-Tochter Smartclip, das die Technik und die Einsatzmöglichkeiten ATV erläutert. „Wir unterstützen die TV-Sender, um ihre Marktposition zu stärken und für die Zukunft gerüstet zu sein. Mit der Veröffentlichung dieses Whitepapers stellen wir Sendern und Streaming-Diensten einen detaillierten Überblick zur Verfügung, wie sie die konkurrenzlose Reichweite, die das Fernsehen nun mal hat, mit den digitalen Targeting-Möglichkeiten verknüpfen können“, sagt Oliver Vesper, Geschäftsführer von Smartclip Europe. Das Whitepaper kann hier kostenlos heruntergeladen werden.