Beliebt, berühmt, begehrt – die Erfolgsgeschichten von Social-Media-Plattformen wie Instagram, LinkedIn oder TikTok sind allseits präsent. Schliesslich nutzen täglich hunderte von Millionen von User*innen diese Kanäle. Doch nicht alle Social-Media-Kanäle hatten eine solche Success Story. Wir schauen uns einige Fails an und wie es dazu kam.
Wenn es ein Wort gibt, dass das Internet und seine Nutzer*innen gut beschreibt, dann ist es «ungebunden». Eine Google-Suche gibt hunderttausende Ergebnisse wieder, wieso sollte ich meine Zeit also auf einer Webseite vergeuden, wenn sie mir nicht perfekt entspricht?
Dasselbe passiert mit den Social-Media-Kanälen. Liefert mir eine andere Plattform bessere Features oder unterhaltsamere Posts, so migriere ich dort hin. Wieso meine Zeit auf Xing verbringen, wenn LinkedIn das Business-App schlechthin ist?
Nicht nur darum sind die untenstehenden Plattformen gescheitert. Wir werfen einen Blick auf ihre Höhenflüge und Abstürze online.
Vine
2012 – 2016
«Today, we’re introducing Vine: a mobile service that lets you capture and share short looping videos.»
– Twitter & Vine
Persönlich bin ich der Meinung: Ohne Vine gäbe es TikTok nicht. Vine wurde im Jahr 2012 von Dom Hofmann, Rus Yusupov und Colin Kroll auf die Beine gestellt und basierte vollkommen auf dem Erstellen und Posten von 6 Sekunden langen Videos. Das Konzept stellte sich als einfach wie auch genial heraus. Die Videos spielten sich in Dauerschleifen ab (Loops) und die User*innen konnten endlos durch den Feed scrollen.
Im Oktober 2012 kaufte Twitter Vine auf und der Aufstieg der App begann. Im Jahr 2013 war Vine die App mit dem höchsten Wachstum der Nutzerzahl mit einem Zuwachs von 403 Prozent. Man würde denken, dass in sechs Sekunden nicht viel Content zulassen, doch die User*innen wurden sehr schnell sehr kreativ.
Was alles richtig lief
Vine ist die Geburtsstätte von diversen Internet-Persönlichkeiten, YouTuber*innen und Influencer*innen. Mit musikalischen Inhalten, Memes, kurzen Comedy Sketchen und mehr haben Viner*innen die Herzen der Nutzer*innen gewonnen.
Im Jahr 2016 hatte Lele Pons, die wohl berühmteste Vinerin, über 11 Millionen Follower*innen auf der Apps und über 8.4 Milliarden Loops. Heute berühmte Musker*innen wie Shawn Mendes und Ruth B. starteten ursprünglich auf Vine durch und waren extrem beliebt auf der App.
Dadurch, dass die Videos nur 6 Sekunden lang sein konnten, wurden Content Creators äusserst kreativ und packten ganze Storylines in die extrem kurze Zeitspanne. Zudem entsprachen etliche Memes aus der App, die auch heute noch populär sind.
Was alles falsch lief
In den vier Jahren, in denen Vine aktiv war, wuchs die Plattform stark an und war – zumindest für eine Zeit – äusserst beliebt. Wieso also gab Twitter im Oktober 2016 bekannt, dass sie die App nicht mehr weiterführen werden?
Für den Untergang von Vine gab es wohl mehrere Gründe. Zum einen war die App zu wenig wandelbar. Das einzige Format waren die Sechs-Sekunden-Videos. Andere Plattformen, wie zum Beispiel Instagram, boten den User*innen mehr Varietät und die Option, längere Videos zu posten. Auch als Vine als Versuch, relevant zu bleiben, längere Videos zuliess, so wurde diese Möglichkeit kaum genutzt. Die Nutzer*innen hatten sich teilweise bereits von der App abgewendet auf der Suche nach besseren Angeboten.
Die finanzielle Not
Was Vine schliesslich wohl den Todesstoss verpasst hat, waren die fehlenden finanziellen Mittel. Werbung wollten die Vine-Betreiber nicht auf der Plattform, was dazu führte, dass sie kaum Einnahmen mit der App generierten. Allfällige Influencer-Deals oder sonstige Kooperationen wurden je länger je weniger, da sich auch Unternehmen der steigenden Popularität konkurrierender Apps wie Instagram bewusst waren.
Auch die Führungsetage von Vine erlitt einige Änderungen, die den Fortbestand der App kaum gefördert haben. Hoffmann und Yusupov verliessen das Team bereits im Jahr 2014, um sich anderen Projekten zu widmen. Kroll wurde im Jahr 2016 im Rahmen der Massenentlassungen bei Vine ebenfalls vor die Tür gestellt.
#RIPVine
Im Oktober 2016 verkündete Vine das kommende Ende der Plattform. Unter dem Hashtag #RIPVine bekundeten abertausende von User*innen auf Twitter, Vine und Co. ihr Bedauern, dass die App eingestellt wird.
Vine ermöglichte den User*innen das Speichern all ihrer Videos und den weiteren Zugriff der App für die kommende Zeit, damit die Inhalte nicht verloren gehen. Das Archiv war bis 2019 abrufbar, nun können Vines nur noch mit dem entsprechenden direkten URL aufgerufen werden. Rest in Peace Vine.
«Today, we are sharing the news that in the coming months we’ll be discontinuing the mobile app.» – Vine
Google +
2011 – 2019
«We’d like to bring the nuance and richness of real-life sharing to software. We want to make Google better by including you, your relationships, and your interests. And so begins the Google+ project.» – Google
Google + (Google Plus) war Googles Anlauf, mit einer Social-Media-Plattform durchzustarten. Die Erwartungen schienen hoch, stammt die Idee doch von der grössten Suchmaschine weltweit.
Und so ging Google + im Jahr 2011 live. Die Plattform sollte mit ihrem Feed (The Stream genannt) sowie den Circles (quasi Gruppen) ein Grat zwischen Twitter und Facebook darstellen. Alles kann geteilt werden und wird im Stream angezeigt, während man sich Circles anlegen kann, um mit seinen Freundeskreisen (get it?) zu interagieren.
Was alles richtig lief
In den ersten Monaten konnte Google + ein riesiges Wachstum verzeichnen. Ende 2011 hatte die Plattform bereits 90 Millionen User*innen. Ein neuer Social-Media-Kanal, der von Google selbst stammt, zieht definitiv viele Augenpaare auf sich.
Doch um ehrlich zu sein, scheint hier auch schon das Ende aller tollen Eigenschaften von Google + zu sein. Der Service war kaum revolutionär, da das User-Engagement fehlte und viele Nutzer*innen schlichtweg verwirrt von der Anwendung waren. Dazu aber gleich mehr.
Was alles schief lief
Es ist eigentlich beeindruckend, dass Google + bis 2019 durchgehalten hat, obwohl ich noch nie von einer Person gehört habe, die den Dienst aktiv genutzt hat. Ganz im Gegenteil: Vielen Nutzer*innen wurde Google + aufgezwungen.
So wurde das Einloggen in einen Gmail-Account ab 2011 sehr mühsam gestaltet, sofern man keinen Google + Account und hinterlegen wollte. Nutzer*innen mussten klicken, dass sie keinen Account verbinden wollten und mussten den Service dann in einem neuen Tab öffnen, um sich überhaupt auf die reguläre Art und Weise einloggen zu können.
Im Jahr 2013 wurde zudem bekannt gegeben, dass ein Google + Konto notwendig ist, um auf YouTube Kommentare unter Videos zu hinterlassen. Zwei Jahre später gaben Google + und YouTube ihre Trennung bekannt für alle User*innen, die dies wünschen. So konnte der Google + Account vom YouTube-Account getrennt werden. Die beiden Anbieter scheinen also so einige kritische Stimmen und unzufriedene Feedbacks gehört bekommen zu haben.
Facebook-Kampf und Datenleck
Was wohl auch zum Scheitern von Google + beigetragen hat, ist der Konkurrenzkampf mit Facebook – diesen hat Google klar verloren. Denn Facebook verzeichnete bereits im Jahr 2013 über 1.2 Milliarden Nutzer*innen, während Google + bei 300 Millionen aktiven Nutzer*innen im Oktober 2013 stand. Facebook war bekannter, beliebter und verständlicher für die User*innen.
Denn wenn man sich im Internet umhört, so scheinen die wenigsten das Konzept der Circles auf Google + verstanden zu haben. Für Nutzer*innen war es oft unklar, was wo gepostet wird, von wem gesehen werden kann, und wo sie es selber aufrufen können. Diese nicht vorhandene Usability wird der Plattform weitere Minuspunkte verpasst haben.
Natürlich muss auch noch das Datenleck erwähnt werden: Im November 2018 wurden Daten von über 52.5 Millionen Nutzer*innen geleakt. Somit hatte Google + auch noch mit diesem Skandal zu kämpfen.
Schluss mit Google +
Am Ende des Tages lieferte Google den User*innen nicht das, was sie wollten. Und mit dem Bestehen von diversen anderen Social-Media-Kanälen wurde der Weg zum Erfolg für Google + nur noch steiniger.
Ende 2018 gab Google also bekannt, dass der Service in den nächsten Monaten eingestellt wird – er werde nicht genügend genutzt und entspreche nicht den Erwartungen der User*innen.
«In December 2018, we announced our decision to shut down Google+ for consumers in April 2019 due to low usage and challenges involved in maintaining a successful product that meets consumers’ expectations.»
– Google
Yik Yak
2013 – 2017
«Yik Yak’s mission is to make the world feel small again. Our founders, Tyler and Brooks, wanted to create a way for people to instantly connect with everyone around them, and so Yik Yak was born.» – Yik Yak
Kennst du Jodel? Das ist grundsätzlich dasselbe wie Yik Yak war. Yik Yak war eine standort-basierte Social-Media-App, auf der User*innen Posts verfassen konnten, die nur für andere User*innen in einem bestimmten Umkreis sichtbar waren.
Dieses Standort-bezogene machte die App sehr attraktiv für Studierende, die so lustige Sprüche, Anekdoten oder Fragen mit ihren Kommiliton*innen teilen konnten. Die App war zudem für lange Zeit komplett anonym – keine Namen, Accounts oder sonstiges.
Was alles richtig lief
Im September 2014 war Yik Yak bei über 1.8 Millionen Downloads angekommen. Wie erwähnt, war die App vor allem bei Studierenden beliebt.
Die gewährte Anonymität gab den User*innen die Freiheit, das zu erzählen, was sie wollen. Besonders lustige Posts oder solche, mit denen sich viele andere User*innen identifizieren konnten, erhielten Upvotes, unbeliebte Posts hingegen Downvotes.
Was alles schief lief
Die Geschichte hinter dem Scheitern von Yik Yak ist wohl die düsterste auf dieser Liste. Beginnen wir aber bei etwas grundlegendem: den Nutzerzahlen. Im Jahr 2016 war Yik Yak um 75 Prozent weniger genutzt als noch im Vorjahr. Konkurrierende Apps wie Jodel (gibt es seit 2014) und Whisper (seit 2012) sind ebenfalls populär.
Mobbing, Rassismus, Gewalt
Doch viel einschneidender als dies, war das riesige Cyber-Mobbing-Problem auf der App. Personen wurden beim Namen genannt und diverse abwertende Posts und Kommentare wurden über sie gepostet. Bei diversen Posts von User*innen wurden diese in den Kommentaren angegriffen und gemobbt.
Besonders beunruhigend waren auch die diversen Bombendrohungen an Schulen, die über die App angekündigt wurden. So wurde im Jahr 2014 eine Schule in Massachusetts (USA) gleich zwei Mal evakuiert, da Bombendrohungen über die App veröffentlicht wurden.
In Michigan wurde ein Schüler verhaftet, da er eine Schiesserei in seiner Schule auf der App ankündigte, in Missouri wurde ein Schüler verhaftet, nachdem er rassistisch motivierte Gewalttaten auf der App ankündigte und schwarze Schüler*innen der Schule angreifen wollte.
Keine Lösung in Sicht
Zwischenzeitlich wollten die Yik Yak-Gründer dem Problem entgegenwirken, indem sie das Hinzufügen von Nutzernamen obligatorisch machten. So ging zumindest ein Teil der Anonymität verloren. Doch es wurde dem Cyber-Mobbing zu wenig entgegengewirkt und schliesslich wurde die App im März 2014 eingestellt.
In einem erstaunlich positiven Blog-Post verkündeten die Gründer das Ende der App und fügten an, dass sie sich neuen Projekten widmen wollen.
«The time has come, however, for our paths to part ways, as we’ve decided to make our next moves as a company.» – Yik Yak
MySpace
2003 – jetzt
«MySpace is an online community that lets you meet your friends› friends. Create a private community on MySpace and you can share photos, journals and interests with your growing network of mutual friends!»
– MySpace
Ich nehme es vorweg: MySpace existiert noch immer. Aber sind wir ehrlich: Es zählt keinesfalls zu den grossen Social-Media-Kanälen. Und nach einem Vorfall aus dem Jahr 2019, den wir unten näher beschreiben, haben sich wohl noch mehr User*innen von der Plattform abgewendet.
MySpace ist eine Art Vorreiter von Facebook. Die Nutzer*innen können Inhalte mit ihren Freund*innen teilen, seien dies Texte oder Fotos und natürlich Musik. Denn Musik ist auf MySpace absolut zentral.
Was alles richtig lief
MySpace war ein Ort – ja, ich schreibe nun bewusst in der Vergangenheit- für kreative Köpfe. Nachdem MySpace im Jahr 2005 von Rupert Murdochs Firma News Corporation für 580 Millionen US-Dollar gekauft wurde, ging es steil bergauf mit den Nutzerzahlen.
Bis ins Jahr 2008 war MySpace eine der beliebtesten Social-Media-Seiten. Musiker*innen nutzten die Plattform, um ihre Songs zu verbreiten, User*innen verknüpften sich mit Freund*innen, zeigten ihre Lieblings-Lieder und alle hatten eine super Zeit miteinander. Doch was zog MySpace im Jahr 2008 einen Strich durch die Rechnung? Du hast es erraten. Facebook.
Was alles schief lief
Denn ab 2008 boomte das soziale Medium von Mark Zuckerberg und überholte MySpace anschliessend in rasantem Tempo. MySpace verzeichnet je länger je weniger Nutzer*innen. Ein Relaunch der Plattform als «Social-Media-Musikportal» im Jahr 2014 brachte zwar wieder einige Visitors auf die Seite, doch diese konnten nicht langfristig gebunden werden. Mit Spotify und Apple Music als Musikplattformen sind viele unter uns zufrieden.
Nostalgie ade
Als wäre die schwindende Relevanz von MySpace noch nicht genug, so kam im März 2019 die schlechte Nachricht für alle (ehemaligen) User*innen: Alle Daten auf MySpace von 2003 bis 2015 sind gelöscht. Unwiderruflich.
MySpace begründet den Datenverlust mit einer missglückten Server-Migration und entschuldigt sich. Ein Back-Up der Daten gibt es nicht. Somit hat MySpace nicht einmal mehr den Benefit der Nostalgie, sodass sich Nutzer*innen einloggen, um in der Vergangenheit zu schwelgen. Mit diesem Fehler katapultiert sich also auch MySpace in die Welt der vergessenen und gefailten Social-Media-Kanälen.
«As a result of a server migration project, any photos, videos and audio files you uploaded more than three years ago may no longer be available on or from MySpace. We apologize for the inconvenience.» – MySpace
Erfolg ist nicht einfach
Wenn wir etwas von den Missgeschicken der Unternehmer und dem Scheitern der Plattformen mitnehmen können, dann ist es, dass es nicht einfach ist, erfolgreich zu werden. Und noch viel schwieriger scheint es, erfolgreich zu bleiben.
Alle diese Social-Media-Kanäle haben zu einem Zeitpunkt vielversprechend ausgesehen. Alle hatten eine Phase der Popularität oder gar Viralität, bevor sie auf dem Boden der Tatsachen zerschmetterten. Was wir also auch lernen können, ist, dass wir auf unsere Zielgruppen hören, unsere Finanzen im Griff behalten und ein gutes Moderatoren- oder Reporting-System sowie immer ein Daten-Back-Up haben müssen.